Diese drei Bilder entstanden auf einer anderen, weniger
dramatischen Wanderung. War aber auch wunderschön.
Ja, andere gehen zu Fuss... Motorisierter Ziegenhirte.
Schilftunnel - war abenteuerlich.
Wenn ich die Temperaturen mit der Schweiz
vergleiche, kann man nicht sagen, dass es hier kalt ist. Aber wir hatten
Nordwind. Der fegte durch die Gassen und liess mich nicht mehr ohne Wollmütze
und Windjacke aus dem Haus gehen. Manche fragten irritiert, ob ich kalt habe.
Auf meine Antwort hin fügten sie konsterniert hinzu: „Aber wie denn, du
kommst doch aus der Schweiz!?“ Tatsächlich kann man Sinusitis auch in
Griechenland bekommen, nämlich bei besagtem Nordwind. War ungemütlich. Auch in
der Wohnung. Ich sass mit Socken und Wolljacke. Aber jeder Nordwind flaut
irgendwann einmal ab, und wenn man Glück hat, so wie kürzlich, dreht er nicht
unmittelbar auf eine andere Richtung, sondern macht Pause – wenigstens ein paar
Stunden. Abgesehen von allem ist das auch für die Frisur eine Freude. Wie gesagt,
kürzlich war es genauso und es war wunderbar.
Ich war wohl die einzige auf der ganzen Insel, die bereits
mit Wollmütze herumlief und dennoch im Meer badete.
Also bin ich mit dem Bus - die Scheiben waren seltsam verschmiert - über den Berg nach
Kini gefahren, um von dort aus eine mir noch nicht vertraute Wanderung zurück
in die Stadt zu machen. Wir waren nur eine Handvoll Menschen, die
Mehrzahl davon ältere Männer. Und was die sich alles zu erzählen hatten. Zum Beispiel ging es ums Wetter, denn gestern hatte es ein paar
Tropfen geregnet. „Regen? Hatten wir dieses Jahr nur zweimal und das ist schon
wochenlang her!“ sagte der Buschauffeur. „Es ist immer so: wenn wir die Busse
waschen, kommts – ein paar Tropfen nur, und die machen eine Sauerei!“ Ich
weiss nicht, ob es mit der Anstrengung zusammen hängt die wir betreiben, die
das Mitgefühl des Himmels auf die Erde holt. Jedenfalls sagt das meine
Nachbarin in der Schweiz auch: man wartet auf das Nass von oben, und es kommt nicht. Geht sie
aber schliesslich den Garten wässern, dann kommt der Regen bestimmt.
Auch in Kini haben sie Tische und Stühle zusammengeräumt.
Ich war noch nicht lange unterwegs, hielt
das Auto einer Freundin die ich lange nicht gesehen hatte neben mir. Also
fuhren wir zur nächsten Bucht, wo ich sowieso hin wollte, und genossen den
Zufall um uns auszutauschen. Schliesslich machte ich mich auf. Natürlich hatte
ich eine Karte mit dabei, und natürlich war ein Weg darauf eingezeichnet.
Zu meiner Überraschung war er sogar markiert, und ich folgte mit Freuden
den roten Punkten durch das Bachbett und die wilde Landschaft. Stille,
Schönheit, pure Natur. Paradiesisch!
Durchs Bachbett den roten Punkten folgend.
Natur pur - was wünscht man sich mehr?
Alles ging gut – bis zum Zeitpunkt, wo mit
dem plötzlichen Verdunkeln des Himmels auch die roten Punkte verschwanden. Da
stand ich nun. Zwar konnte ich die nahende Zivilisation ausmachen, hoch oben,
und natürlich kann man sich auf einer so kleinen Insel nicht
verlieren, aber ein Pfad war dennoch nirgends mehr zu sehen. Und wer schon mal
in Griechenland querfeldein gewandert ist, weiss. Die ersten Tropfen fielen bereits und ich hörte nahendes Donnergrollen. Zum Denken blieb keine Zeit mehr. Also machte ich es den Ziegen gleich und floh weglos, kreuz und quer den Berg hinauf in
Richtung eines Hauses. Aber der Himmel entleerte sich bevor ich es erreichte. Innert
kürzester Zeit war ich nass bis auf die Unterwäsche und in meinen Wanderschuhen
gluckerte es befremdlich bei jedem Schritt. Es war, als stünde man in ganzer Montur unter voll aufgedrehter Dusche.
War eine interessante Erfahrung, hatte ich noch nie erlebt. Immerhin war es nicht sehr kalt,
immerhin hatte ich einen Rucksackschutz (Fotoapparat, Handy, Skizzenbuch usw.), und
immerhin fand ich – das Haus schien abgesperrt und unbewohnt. Na ja, wer will schon
in solcher Wildnis wohnen! – gleich neben dem Gatter ein paar schützende Gebüsche.
Was nun? Kein Punkt, kein Weg... dafür schöne, wilde
Landschaft und ein heraufziehendes Gewitter.
Landschaft und ein heraufziehendes Gewitter.
So eine Überraschung! Keine der drei
Wettervorhersagen die ich am Morgen abrief, liessen ein Gewitter vermuten. Ums genau zu nehmen: auf
keiner war auch nur ein Tropfen Regen zu sehen!
Vom Trockenen aus lässt sich die Aussicht noch einmal anders geniessen. Und: was für Farben, nun wo der Regen allen Staub weggewaschen hat!
(kommt auf dem Foto vielleicht nicht ganz zur Geltung - aber es war traumhaft!)
Wie dem auch sei – jedenfalls wurde der
Regen irgendwann weniger, das Gewitter verzog sich weiter ostwärts, und vor mir
tauchte eine Gestalt auf, zwischen 70 und 80 Jahre alt vielleicht, schwierig zu
schätzen. Jedenfalls klafften in der oberen Zahnreihe einige Lücken. Er suche
nach einem Huhn, ob ich ein Huhn gesehen hätte, ein weisses Huhn, und, wo ich
denn herkäme. Aus der Schweiz?!, er lachte und sagte, ich soll ins Haus gehen. Er
sprach laut, offenbar hörte er auch ein bisschen schlecht. Er ginge nachher
nach Ano Syros (oberhalb von Ermoupolis, da wollte ich auch hin). Ob er ein
Auto hätte und mich mitnähme? Ja, wir können gemeinsam gehen, meinte er, Auto nein, er ist
zu Fuss. Der Regen hörte auf, er liess das Huhn Huhn sein und wir machten uns
auf den Weg. Er könne weder Auto- noch Fahrradfahren. Er ginge immer zu Fuss.
Sein ganzes Leben ist er zu Fuss gegangen. Ab und zu blieb er stehen und musste
verschnaufen. Ab und zu fragte er oder ich etwas. „Nein, das war keine guter
Regen. Das war...“ und er machte mit der Hand eine grosse, kreisende Bewegung.
Seine Stimme hatte an mancher Stelle der Worte eine unglaubliche Melodiosität, als würde er einzelne Laute singen. Habe ich noch nie zuvor gehört. Allenfalls in ähnlicher Art bei Schafhirten vielleicht. Aber er war keiner. Dann zeigte er mit dem Finger auf die umliegenden Inseln. „Das ist Tinos. Dort
ist Giaros, das dort ist Kea, Kithnos. Dort dazwischen liegt Evia. Da drüben
Mykonos.“ Dann gingen wir wieder schweigend. Irgendwann fand er den richtigen
Radiosender bei seinem Handy, und so gingen wir mit musikalischer Begleitung.
Wieder in der Zivilisation fuhr manches Auto und Moped vorbei. Manchem Fahrer winkte oder rief er etwas
zu. Manche winkten oder riefen zurück. Wir gingen eine Stunde. Kurz bevor wir
uns verabschiedeten, fragte er nach meinem Namen. Er heisse Dimitris und strahlte übers ganze Gesicht. Ich bedankte mich. Dann gaben
wir uns die Hand. Die seine
war riesig! Sie war weich, und ganz warm.
Von der Neorion hört man wieder die Schichtwechsel-Sirenen. Derzeit liegt ein schöner 4-Master in der Werft. Allerdings habe ich nix davon gehört oder gelesen, dass die Strom-Rechnung bezahlt worden wäre...
Nun haben wir seit Tagen noch stärkeren Nordwind. Bis 7 Beaufort. Das gibt grosse Wellen auf dem Meer. Und Stromausfall hatten wir. Und Feuer hatten wir auch. Es war das Dritte dieses Jahr. Dieses war sehr gross, wegen dem starken Wind. Es zerstörte unglaublich viel wilde Natur, Anbaufläche und Gärten. Kleingetier kam ums Leben. Häuser und Menschen nahmen, soweit ich weiss keinen Schaden. Der Paradiesgarten einer Freundin wurde zu einem grossen Teil vom Feuer zerstört. Auch die 4 Chara-Zois-Bäume, die wir dort vor zwei Jahren und dieses Jahr pflanzten, fielen dem Feuer zum Opfer. Die Ursache des Brandes ist noch nicht ganz klar. Aufs Wochenende erwarten wir Regen. Und dann wird sich zeigen, wieviel tatsächlich zerstört wurde, resp. was zu neuem Leben erwacht. Wir hoffen, dass es einen schönen, langen, sanften Regen gibt.
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fotografien/texte © grüner atem / sandra dominika sutter