Mittwoch, 26. Oktober 2016

Eine Überraschung und ein unauffindbares Huhn




Diese drei Bilder entstanden auf einer anderen, weniger 
dramatischen Wanderung. War aber auch wunderschön.
 


Ja, andere gehen zu Fuss... Motorisierter Ziegenhirte.



Schilftunnel - war abenteuerlich.



Wenn ich die Temperaturen mit der Schweiz vergleiche, kann man nicht sagen, dass es hier kalt ist. Aber wir hatten Nordwind. Der fegte durch die Gassen und liess mich nicht mehr ohne Wollmütze und Windjacke aus dem Haus gehen. Manche fragten irritiert, ob ich kalt habe. Auf meine Antwort hin fügten sie konsterniert hinzu: „Aber wie denn, du kommst doch aus der Schweiz!?“ Tatsächlich kann man Sinusitis auch in Griechenland bekommen, nämlich bei besagtem Nordwind. War ungemütlich. Auch in der Wohnung. Ich sass mit Socken und Wolljacke. Aber jeder Nordwind flaut irgendwann einmal ab, und wenn man Glück hat, so wie kürzlich, dreht er nicht unmittelbar auf eine andere Richtung, sondern macht Pause – wenigstens ein paar Stunden. Abgesehen von allem ist das auch für die Frisur eine Freude. Wie gesagt, kürzlich war es genauso und es war wunderbar. 



 Ich war wohl die einzige auf der ganzen Insel, die bereits 
mit Wollmütze herumlief und dennoch im Meer badete.


Also bin ich mit dem Bus - die Scheiben waren seltsam verschmiert -  über den Berg nach Kini gefahren, um von dort aus eine mir noch nicht vertraute Wanderung zurück in die Stadt zu machen. Wir waren nur eine Handvoll Menschen, die Mehrzahl davon ältere Männer. Und was die sich alles zu erzählen hatten. Zum Beispiel ging es ums Wetter, denn gestern hatte es ein paar Tropfen geregnet. „Regen? Hatten wir dieses Jahr nur zweimal und das ist schon wochenlang her!“ sagte der Buschauffeur. „Es ist immer so: wenn wir die Busse waschen, kommts – ein paar Tropfen nur, und die machen eine Sauerei!“ Ich weiss nicht, ob es mit der Anstrengung zusammen hängt die wir betreiben, die das Mitgefühl des Himmels auf die Erde holt. Jedenfalls sagt das meine Nachbarin in der Schweiz auch: man wartet auf das Nass von oben, und es kommt nicht. Geht sie aber schliesslich den Garten wässern, dann kommt der Regen bestimmt. 



Auch in Kini haben sie Tische und Stühle zusammengeräumt. 

Wie auch immer: es war ein Samstagmorgen wie ein Sonntag, himmlische Stille in der Atmosphäre. Das Meer freundlich und glatt, man sagt auch: „wie ein Spiegel“ oder „wie Öl“. Ich sass ein paar Momente am Strand, das Wasser flüsterte kleine Geschichten ans Ufer, vom nahegelegenen Café hörte ich die Einheimischen schwatzen, einer ging schwimmen. Die Feuchtigkeit in der Luft nahm sich die Düfte der Erde und breitete sie nach überallhin aus wie ein grosses Leintuch. Blauer Himmel, milder Sonnenschein. Die Stimmung war ein Gebet. 

Ich war noch nicht lange unterwegs, hielt das Auto einer Freundin die ich lange nicht gesehen hatte neben mir. Also fuhren wir zur nächsten Bucht, wo ich sowieso hin wollte, und genossen den Zufall um uns auszutauschen. Schliesslich machte ich mich auf. Natürlich hatte ich eine Karte mit dabei, und natürlich war ein Weg darauf eingezeichnet. Zu meiner Überraschung war er sogar markiert, und ich folgte mit Freuden den roten Punkten durch das Bachbett und die wilde Landschaft. Stille, Schönheit, pure Natur. Paradiesisch! 



Durchs Bachbett den roten Punkten folgend.



Natur pur - was wünscht man sich mehr?

Alles ging gut – bis zum Zeitpunkt, wo mit dem plötzlichen Verdunkeln des Himmels auch die roten Punkte verschwanden. Da stand ich nun. Zwar konnte ich die nahende Zivilisation ausmachen, hoch oben, und natürlich kann man sich auf einer so kleinen Insel nicht verlieren, aber ein Pfad war dennoch nirgends mehr zu sehen. Und wer schon mal in Griechenland querfeldein gewandert ist, weiss. Die ersten Tropfen fielen bereits und ich hörte nahendes Donnergrollen. Zum Denken blieb keine Zeit mehr. Also machte ich es den Ziegen gleich und floh weglos, kreuz und quer den Berg hinauf in Richtung eines Hauses. Aber der Himmel entleerte sich bevor ich es erreichte. Innert kürzester Zeit war ich nass bis auf die Unterwäsche und in meinen Wanderschuhen gluckerte es befremdlich bei jedem Schritt. Es war, als stünde man in ganzer Montur unter voll aufgedrehter Dusche. War eine interessante Erfahrung, hatte ich noch nie erlebt. Immerhin war es nicht sehr kalt, immerhin hatte ich einen Rucksackschutz (Fotoapparat, Handy, Skizzenbuch usw.), und immerhin fand ich – das Haus schien abgesperrt und unbewohnt. Na ja, wer will schon in solcher Wildnis wohnen! – gleich neben dem Gatter ein paar schützende Gebüsche. 



Was nun? Kein Punkt, kein Weg... dafür schöne, wilde 
Landschaft und ein heraufziehendes Gewitter.

So eine Überraschung! Keine der drei Wettervorhersagen die ich am Morgen abrief, liessen ein Gewitter vermuten. Ums genau zu nehmen: auf keiner war auch nur ein Tropfen Regen zu sehen!


Vom Trockenen aus lässt sich die Aussicht noch einmal anders geniessen. Und: was für Farben, nun wo der Regen allen Staub weggewaschen hat!
(kommt auf dem Foto vielleicht nicht ganz zur Geltung - aber es war traumhaft!)

Wie dem auch sei – jedenfalls wurde der Regen irgendwann weniger, das Gewitter verzog sich weiter ostwärts, und vor mir tauchte eine Gestalt auf, zwischen 70 und 80 Jahre alt vielleicht, schwierig zu schätzen. Jedenfalls klafften in der oberen Zahnreihe einige Lücken. Er suche nach einem Huhn, ob ich ein Huhn gesehen hätte, ein weisses Huhn, und, wo ich denn herkäme. Aus der Schweiz?!, er lachte und sagte, ich soll ins Haus gehen. Er sprach laut, offenbar hörte er auch ein bisschen schlecht. Er ginge nachher nach Ano Syros (oberhalb von Ermoupolis, da wollte ich auch hin). Ob er ein Auto hätte und mich mitnähme? Ja, wir können gemeinsam gehen, meinte er, Auto nein, er ist zu Fuss. Der Regen hörte auf, er liess das Huhn Huhn sein und wir machten uns auf den Weg. Er könne weder Auto- noch Fahrradfahren. Er ginge immer zu Fuss. Sein ganzes Leben ist er zu Fuss gegangen. Ab und zu blieb er stehen und musste verschnaufen. Ab und zu fragte er oder ich etwas. „Nein, das war keine guter Regen. Das war...“ und er machte mit der Hand eine grosse, kreisende Bewegung. Seine Stimme hatte an mancher Stelle der Worte eine unglaubliche Melodiosität, als würde er einzelne Laute singen. Habe ich noch nie zuvor gehört. Allenfalls in ähnlicher Art bei Schafhirten vielleicht. Aber er war keiner. Dann zeigte er mit dem Finger auf die umliegenden Inseln. „Das ist Tinos. Dort ist Giaros, das dort ist Kea, Kithnos. Dort dazwischen liegt Evia. Da drüben Mykonos.“ Dann gingen wir wieder schweigend. Irgendwann fand er den richtigen Radiosender bei seinem Handy, und so gingen wir mit musikalischer Begleitung. Wieder in der Zivilisation fuhr manches Auto und Moped vorbei. Manchem Fahrer winkte oder rief er etwas zu. Manche winkten oder riefen zurück. Wir gingen eine Stunde. Kurz bevor wir uns verabschiedeten, fragte er nach meinem Namen. Er heisse Dimitris und strahlte übers ganze Gesicht. Ich bedankte mich. Dann gaben wir uns die Hand. Die seine war riesig! Sie war weich, und ganz warm.





Von der Neorion hört man wieder die Schichtwechsel-Sirenen. Derzeit liegt ein schöner 4-Master in der Werft. Allerdings habe ich nix davon gehört oder gelesen, dass die Strom-Rechnung bezahlt worden wäre...

Nun haben wir seit Tagen noch stärkeren Nordwind. Bis 7 Beaufort. Das gibt grosse Wellen auf dem Meer. Und Stromausfall hatten wir. Und Feuer hatten wir auch. Es war das Dritte dieses Jahr. Dieses war sehr gross, wegen dem starken Wind. Es zerstörte unglaublich viel wilde Natur, Anbaufläche und Gärten. Kleingetier kam ums Leben. Häuser und Menschen nahmen, soweit ich weiss keinen Schaden. Der Paradiesgarten einer Freundin wurde zu einem grossen Teil vom Feuer zerstört. Auch die 4 Chara-Zois-Bäume, die wir dort vor zwei Jahren und dieses Jahr pflanzten, fielen dem Feuer zum Opfer. Die Ursache des Brandes ist noch nicht ganz klar. Aufs Wochenende erwarten wir Regen. Und dann wird sich zeigen, wieviel tatsächlich zerstört wurde, resp. was zu neuem Leben erwacht. Wir hoffen, dass es einen schönen, langen, sanften Regen gibt.


sämtliche inhalte dieses blogs unterliegen dem copyright. 
 wenn nicht anders vermerkt: 
fotografien/texte © grüner atem / sandra dominika sutter
 

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