Sonntag, 23. Dezember 2012

stacheldraht und wüstenwind









blick durch das fliegengitter auf tel aviv vom integral dojo aus gesehen


der waffenstillstand zwischen israel und gaza wurde einige tage vor unserer abreise beschlossen. also reisten wir. wir, das war eine gruppe von ca 10 aikidokas unter der leitung von patrick cassidy von aikido montreux*, inkl. zwei amerikanischer freunde die ein paar tage zuvor von der westküste eingeflogen waren.
der flug war fantastisch - ich hatte einen fensterplatz und genoss die sicht auf mein geliebtes griechenland von hoch oben und ja, da waren momente eines leisen zweifels, ob ich den richtigen zielflughafen anpeile... kurz vor der landung in tel aviv gewitterwolken, etwas schütteln und rütteln - ich mag das eigentlich ganz gern, sofern es nicht den ganzen flug über andauert - und dann waren wir dort. 

natürlich hatte ich meine bedenken, ob es angebracht ist in ein land zu reisen das sich gerade im kriegszustand befindet, resp. bei dem man nie weiss, wann es wieder losgeht oder was als nächstes geschieht (terroranschläge). und natürlich spürte ich, teils kollektive, teils persönliche angst und anspannung in der woche vor der reise. was, wenn das bisschen leben, das man ist in gefahr gerät und gar stirbt?... nicht zu gehen wäre vernünftig, hörte ich von angehörigen oder bekannten sagen. das sagte ich auch, nur, unter allen bedenken war ein ruf. also ging ich. und mit meinen ersten schritten auf israelischem boden verflog, was allenfalls an zweifel oder ängsten noch da war.

miles kessler, dojo-cho vom integral dojo* in tel aviv und einige seiner uchi-deshis (live-in-students) hiessen uns am flughafen willkommen, und führten uns in ihr dojo mitten in der stadt, wo wir am abend das erste training hatten und auch übernachteten. das vorgesehene reiseprogramm war: tel aviv, westbank ramallah, jerusalem, retreat am toten meer. die leitung für die reise und trainings hatten patrick cassidy und miles kessler gemeinsam.





erstes abendessen im nahen osten - es war lecker!
nur, meine liebe für gepflegtes essen wurde total in frage gestellt





integral dojo tel aviv




nachtlager am frühen morgen im dojo





tel aviv beach



am zweiten abend fuhren wir mit einem kleinbus nach ramallah (aikido without borders*) zum training. ja, es war ein besonderes gefühl, den mauern mit stacheldraht entlang, an soldaten mit gewehren vorbei von jerusalem her in die deutlich staubigere westbank zu fahren, bei der grenzüberquerung in stockendem stau kaum vorwärts zu kommen. ich spürte ein allgemeines leises aufatmen, als die fahrt wieder schneller wurde und die strasse freier. überhaupt war da plötzlich ein eindeutiger geschmack von freiheit





abendessen in der westbank. war lecker UND übersichtlich



nach einem kleinen abendessen und einem spaziergang durch down town ramallah - sauber, modern, voller leben, gute atmosphäre - fuhren wir nach bir nabalah einem dorf nahe der stadt, ins taj mahal, einem modernen komplex der für hochzeitsfeste und drei mal die woche als trainingshalle für aikido benutzt wird. wir wurden aufs herzlichste empfangen. es gab ein kinder- und ein erwachsenen-training. die gruppen sind übersichtlich und noch im aufbau. mädchen oder frauen trainieren nicht. das hat damit zu tun, dass es noch keine aikido-lehrerin vor ort gibt. zusammen mit den männern oder buben zu trainieren kommt aus religiösen gründen nicht in frage. zugegeben, fühlte ich mich unter soviel männerpräsenz (der ganze dorfrat kam zur feier des tages und wohnte den trainings als zuschauer bei) nicht ganz am richtigen ort, obwohl ich nicht die einzige frau in der gruppe war. wie dem auch sei. es war berührend die jungen und auch zum teil erstaunlich älteren aikidokas so motiviert, neugierig und begeistert bei der sache zu sehen. es war schön. spät in der nacht fuhren wir zurück nach jerusalem. der geschmack der freiheit blieb zurück in der westbank.





die goldene kuppel - blick auf den felsendom


ja, jerusalem - die schöne, die heilige - ich war beeindruckt. so viele gebete wie sie dort jeden tag gebetet werden. das ganze jahr hindurch. seit so vielen jahren. wie wohl würde die welt aussehen ohne sie? in der grabeskirche fühlte ich mich verbunden und aufgehoben mit der warmen, wohlwollenden erdenergie. an der klagemauer erlebte ich in einem inneren bild, wie die mauer sich auflöste, und sich ein warmes, goldenes licht mit mir verband, unaufdringlich aber eindeutig. was klagen wir!? erlöst sind wir bereits... der segen kam postwendend von oben in form von drei wohldosierten tropfen taubendreck. immerhin war die taube weiss.

und immer wieder fand der ruf vom himmel auf die erde - allahu akbar! - warf sich in den herzensraum und schallte zurück in die weite des universums, genauso wie das glockengeläut, und das leise schluchzen von sich drehenden körpern vor der mauer, deren gesichter in zerfledderte gebetsbücher gelegt. jerusalem! die heilige, die schöne! - stadt des friedens.





kuppel in der grabeskirche




verewigte spuren der kreuzritter




klagemauer - die seite der frauen




dem heiligtum ein bisschen näher




  und endlich von ganz nah


und dann eben der felsendom. ich sass mit dem rücken an die mauern der moschee gelehnt in herrlichstem, himmlischsten frieden. auch hier spürte ich ein licht, klar weiss, rein, das mich ins innere des gotteshauses nahm, einsog sozusagen, durch die mauern hindurch, ohne dass ich etwas gemacht hätte. sehr besonders. also sass ich mit geschlossenen augen, ganz eins mit DEM in meinem herzen, als mich ein führer ansprach: "du darfst hier nicht beten. deine kirche ist dort drüben, geh dorthin zum beten. dieser platz ist nur für moslems!" - nun ja, in gewisser weise hatte er recht... erstens westliche frau und dann nicht mal muslima... aber habe ich eine bestimmte kirche? GOTT ist überall oder nirgends, und ganz bestimmt ohne vorlieben, sonst wäre ER nicht sich selbst... IHM sind alle willkommen, oder? und überhaupt, woher wollte der führer wissen, dass ich mit IHM war? wir kamen ins gespräch. er war freundlich, wenn auch sehr bestimmt. schlussendlich fand ich heraus, dass ich wohl dort sitzen darf, aber nicht mit geschlossenen augen. "in 10 minuten machen wir zu, dann musst du sowieso gehen!" "salam maleikum!"  "maleikum salam!"





realitäten: raus kommt man nur auf verlangen. rein mit einem zahlencode der regelmässig geändert wird



 

stacheldraht zum schutz von wem?


für unser aikido retreat ging die reise in die wüste ans tote meer. unser resort, mit einer kleinen militärstation gleich neben an, war gut eingezäunt mit stacheldraht, wenn auch mit einem kleinen loch an einer stelle, und hatte sicht aufs tote meer und jordanien. wir waren eine gruppe von etwa 50 menschen aus israel und dem rest der welt. und wir arbeiteten mit gegensätzen. einige unserer freunde aus der westbank nahmen auch teil, zum ersten mal. zwar passierten sie den grenzposten nicht ohne schikanen, aber sie passierten ihn. und es war berührend zu erleben, wie aikido grenzen zu überschreiten möglich macht. wir hatten freude, wir waren berührt und beglückt, wir bewegten und liessen uns bewegen. wir gingen durch widerstände und schwierigkeiten. wir erprobten das neue. es ging tief. es war schön.



lieber vor dem zelt...




oder vor dem abendhimmel?
der platz fürs gruppenfoto will gut gewählt sein.




wüstenidylle - unser trainingszelt in der nacht



man muss in der gleissenden sonne gedürstet haben, in der kühle der nacht gesessen, man muss die zyklen des lichtes auf dem stein beobachtet haben, um etwas von dem geheimnis der wüste zu erfahren. so sass ich inmitten was einmal meer war, den atem der wüste auf dem gesicht, und schaute aufs trockene land. gedämpfter motorenlärm von irgendwo her, das rascheln einer plasitktüte. vögel flitzten vorbei oder trippelten piepend über den steinigen boden: "wer bist du, wer bist du!?" stein und staub. blaus und brauns. licht. stille. nichts. mein körper wurde zu einem weiten raum ohne form und grenzen, weites leer, durch das schriftzeichen zogen, arabische und hebräische, von rechts nach links... "wer bist du, wer bist du!?"




ein heiliger berg von vielen




blick auf das tote meer und jordanien



meine grösste überraschung war - dass ich die stille der wüste ähnlich empfand, wie jene, die ich manches mal bei mir zu hause in gaicht erlebe - nachts - wenn das getriebe des tages seine ruhe findet, der mensch schläft und die sterne lautlos auf die erde leuchten... eine stille, wie wenn eine unsichtbare hand den ton ausgeschaltet hat...





ich wünsche allen eine gesegnete, leuchtende weihnacht 
und alle guten wünsche für unser nächstes abenteuer 2013. 



was wir tun können?
den sprung ins ungewisse wagen
und 
-
fliegen.








*wer gern mehr über diese art des aikidos erfahren möchte oder nächstes jahr mitkommen:
http://www.aikidomontreux.com 
http://www.theintegraldojo.com
http://www.aikidowithoutborders.org



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