Freitag, 17. November 2017

Beijos e abraços – und der Tanz mit dem Meer





Ein Paradies auf Erden. 
Die Westliche Algarve bei der Rota Vincentina.



Ja, ich hatte Vorbehalte*. Wegen dem Tourismus (man/frau erträgt ja nicht ganz alles... ich sage nur: 20 Mio. Touristen im Jahr...) aber vor allem wegen der Sprache. Mein Chef blieb stoisch, sagte, ich bräuchte kein Portugiesisch (nun ja, ich spreche auch kein Italienisch oder Spanisch... aber das ist ein Detail) und meinte zudem trocken „Ich finde, du solltest deinen Horizont Richtung Westen öffnen.“ Ich hörte sehr wohl, dass dieser Satz nicht von irgendwoher kam. Schon einmal erging es mir so und das nämlich mit Syros. Wenn es nach mir gegangen wäre, damals, hätte ich niemals einen Fuss dorthin gesetzt, also nach Syros. Es mussten andere Kräfte ans Werk, um mich auf die Insel zu holen. Gott sei Dank, kann man an dieser Stelle sagen, geht nicht immer alles nach dem eigenen Kopf oder den eigenen Wünschen. Also sagte ich meinem Chef für die Westliche Algarve zu, was hiess: eine Woche Einführung, zwei Wochen Leitung, Grossgruppe, für mich das erste Mal, also max. 25 Gäste. „Wie eine Schulklasse“ hörte ich derweil, wenn ich es jemandem erzählte, der oder die darin Erfahrung hatte. 




Die westliche Algarve wird auch Küstenalgarve genannt, 
auf Grund ihrer teils bizarren Felsformationen. 


Ich wurde ein bisschen aufgeregt je näher der Termin rückte, spürte abwechselnd Freude und bedrohlichen Schwindel. Und natürlich büffelte ich Portugiesisch. Ich bekam einen guten Internet-Sprachkurs empfohlen und hatte während des Lernens Spass wie schon lange nicht mehr. Ich übersetzte Wörter in alle möglichen und unmöglichen Richtungen, und kam zum Schluss: diese Sprache zu erlernen ist schwieriger wie Griechisch! Manchmal ertönte die Fanfare, dann hatte ich es gut getroffen, dann wieder ertönte, Entschuldigung, eine Art „Furz“, was hiess: daneben. Auf jeden Fall versicherte mir das Programm kurz vor Abreise mein Portugiesisch sei schon bei 49%! Ich war mächtig stolz. 


Die berühmten Kacheln von Portugal, mit typischen Motiven.


Bereits der Anflug auf Faro war spektakulär. Ich sass auf der richtigen Seite, hatte somit eine Prachtaussicht auf die Haff-Landschaft in dieser Gegend und war schon das erste Mal fasziniert. In meiner Spontanität stellte ich mich auch gleich dem Bus-Chauffeur vor, der uns, Gruppe und die Reiseleiterin die auch mich einführte, von Faro nach Lagos fuhr. Ich ging davon aus, dass ich denselben Fahrer haben würde, zudem Englisch sprechend. War so abgemacht, von Büro zu Büro. José aber schüttelte den Kopf und wehrte mit den Händen ab, Nein, nicht Fahren und Nein, kein Englisch. Wir waren dann doch drei Wochen miteinander unterwegs. Selbstverständlich sprach er Englisch, aber mit mir hauptsächlich Portugiesisch. Eigentlich verstand er auch Deutsch und Französisch, Spanisch und Italienisch. Gute Chauffeure verstehen auf wundersame Weise irgendwie (fast) alle Sprachen.

Das Hotel in dem wir wohnten war top! Trotz der vielen Zimmer und der Weitläufigkeit. Und ich merkte einmal mehr, dass ich überaus gerne in Hotels wohne. Der Wohnbereich ist übersichtlich und es wird für einem gesorgt. Nur wenn durch alle Wände hindurch bis in mein Zimmer hinein geschnarcht wird, das schätze ich nicht sehr. Aber das ist eine griechische Geschichte.



Nicht nur, aber zum grossen Teil kommt der Kork aus Portugal. 
Hochwertiger Kork, zum Beispiel für Champagner, wird nach 50 
Jahren zum ersten Mal geerntet und in der Regel alle 9 Jahre.


Im Tivoli Lagos hat niemand geschnarcht, respektive die Wände waren dick genug. Im Gegenteil, mein Schlaf wurde begleitet vom rauschenden Meer, besonders von der Flut und geweckt wurde ich die erste Woche mit dem Duft von frischgebackenen Gipfelis und alle drei Wochen von den Schreien der Möwen. Wunderbar. Einmal aufgestanden und auf den Balkon getreten atmete ich die köstlichste Luft, die ich jemals in die Nase bekommen habe: eine Luft angefüllt mit dem Duft der Lackzistrose. Paradiesisch! Die Zistrose kenne ich von Griechenland und auch dort duftet sie betörend. Nur, die Intensität dieses Duftes der Algarve ist unübertrefflich. Vielleicht ist es eine Behauptung. Auf jeden Fall war es so. Ausserdem habe ich drei Wochen lang hervorragend gegessen, hauptsächlich Fisch. Sei es auswärts oder im Hotel mit Buffet. Portugiesen essen, so wird gesagt, pro Kopf ungefähr 75 kg Fisch im Jahr. Mit meinen drei Wochen kann ich, aufs Jahr hinaus über den Daumen gerechnet, mithalten! Man stelle sich dazu die Vielfalt vor oder auch nicht, je nach eigener Geschmacksrichtung. 



Es war lecker!!! Gourmet-Küche Algarve.


Also ich war sofort sehr angetan. Von allem. Dieser Stern, der als Seefahrernation zur Weltmacht aufstieg, sich im Sklavenhandel unrühmlich verhielt und in langsamen Fall wieder zu Boden stürzte nahm mich total in seinen Bann. Und von einem übermässigen Tourismus spürten wir in diesem Teil der Algarve auch nicht sehr viel. Innerlich erhob sich fast unmittelbar schüchtern und leise ein „Aber...“ als wenn es gespürt hätte, dass eine Art Bedrohung nahte. Es hatte keine Chance. Die Begeisterung stieg von Tag zu Tag, ohne dass etwas Spektakuläres passiert wäre. Mit jedem weiteren Blick aufs Meer, auf die Wellen, die Küsten oder das Buffet, mit jedem Atemzug, mit jedem Gruss der Möwen wuchs die Freude ins Unhaltbare. Tja, und was das Portugiesische betrifft: ich merkte schon am ersten Abend, dass diese Portugiesen etwas ganz Anderes sprechen, als ich gelernt hatte, bezweifelte das Sprach-Programm und fragte mich verzweifelnd von was denn 49%! Meine Irritation und Verunsicherung waren nicht zu verdrängen. Da passierte etwas Unerwartetes: ES überliess beides der Heiterkeit. Und?
...es funktionierte! 




Gewagte Architektur: Seitenprofil eines Stadthauses in Lagos.



 Schöne Strassenkunst. Fassade und Werk.


Die Einführungswoche ging zu Ende und gleichzeitig meine Kamera kaputt. Staub/Sand und automatische Zooms vertragen sich schlecht, das heisst gar nicht. Ich konnte nichts machen. Immerhin, die Choreographie war perfekt, hatte ich doch gerade noch alle Wanderungen dokumentieren können. Die Reiseleiterin und die Gruppe reisten ab und überliessen mich meinem Schicksal. Die neuen Gäste kamen und... liessen sich anstecken und mitreissen, in diesen Strom von greifbaren und unsichtbaren Herrlich- und Köstlichkeiten. Und so nahmen wir - denn man kann auch wandernd surfen - Welle um Welle die ganze Woche lang. Der volle Mond zeigte sich gross und majestätisch in seinen schönsten Farben als Auftakt zu einer unvergesslichen Reise. Wir wanderten tagsüber, er wanderte Nacht für Nacht über lange Sandstrände, wilde Küstenabschnitte und ein weites offenes Meer.  





Die westliche Algarve ist ein Surferparadies. Hier war es gerade nicht so, aber meist lagen die Cracks im Wasser und warteten mit ihren Brettern auf die Wellen wie die Haifische aufs Fressen. Wir hattens da einfacher: wir surften wandernd und ohne nass zu werden oder in die Wellen zu stürzen.


Dann wurde er unförmig, der Mond, und die zweite Gruppe stand bereits da, bevor die erste richtig verabschiedet werden konnte. Eigentlich wäre genug Zeit gewesen für beides – also, die erste Gruppe in Ruhe verabschieden und die zweite in Ruhe erwarten. Zum Glück sind wir überpünktlich losgefahren und immerhin ein paar Meter weit. Aber offenbar wollte jemand noch nicht richtig nach Hause, denn unser Bus blieb in der Hotelausfahrt wegen eines falsch parkierten Autos stecken. Erst wurde in Millimeter-Arbeit probiert, vielleicht doch noch um die Kurve zu kommen. Dann hupten wir, in der Hoffnung, der Autobesitzer möge es hören und erscheinen. Dann riefen wir die Polizei. Immerhin, diese erschien in kurzer Zeit: 1 Polizist auf Töffli. Er wusste auch nicht so recht was tun, und notierte sich die Autonummer. Schliesslich hoben wir den Wagen hoch und stellten ihn die wenigen Zentimeter die noch blieben an den Randstein. Nützte auch nichts. Nach fast dreiviertel Stunden kam die Dame endlich, etwas irritiert ob des ganzen Aufhebens. Wir kamen gerade noch rechtzeitig zum Flughafen und die Gruppe auf ihren Flug. Womit ich allerdings nicht gerechnet hatte, dass ein Flug auch mal früher ankommen könnte, zum Beispiel zwanzig Minuten. Ich hatte gerade noch Zeit mir die Schweissperlen von der Stirn zu wischen und ein Pastel de Nata (Sahnetörtchen, unglaublich lecker!) mit einem Espresso hinunter zu spülen, was dem Sahnetörtchen allerdings und leider nicht gerecht wurde, und schon standen sie komplett da, die neuen Gäste. „Wenn das Tempo so weiter geht,“ dachte ich mir, „bin ich morgen schon wieder zu Hause!“ 

Gott sei Dank ging’s dann doch nicht so schnell. Das erste gemeinsame Abendessen am herrlichen Hotel-Buffet hat schliesslich, so könnte man sagen, das Tempo und auch die 800 Schritte bis zum Zimmer und die 1000 bis zum Esssaal versöhnt.




Der schöne Heinrich, war nur einmal auf einem Schiff, 
und doch der wichtigste Wegbereiter damit Portugal 
zur Seefahrernation und Weltmacht wurde. 
Er sitzt in Lagos und schaut aufs Meer.


Und auch diese Woche wurde wie auch schon: die Gäste waren wunderbar und liessen sich begeistern. So nahmen wir wiederum eine Welle nach der Anderen. Und jede nächste war noch schöner wie die vorangehende! 


Natürlich gab es in den drei Wochen auch Zwischenfälle. Eine Kundin mit verlegter, verlorener, gestohlener auf jeden Fall unauffindbarer Identitätskarte, ein - noch einmal: "Gott sei Dank!" - glimpflicher Sturz gleich bei der Ankunft, und eine andere Kundin die wegen einem Todesfall in der Familie am zweiten Tag wieder in die Schweiz zurückreiste. Ich liess mir sagen: "Alles ganz normal und wie im richtigen Reiseleiterinnen-Leben."





Immer wieder von Neuem herrlichst-wunderbar: 
das Meer, die Küste, der Himmel und überhaupt!


Ja, und dann kam auch für mich der Tag des Abschieds und damit der Fado (der portugiesische Blues). Hier ist die Stimmung und nicht der Musikstil gemeint. Wie man mit der Saudade (Inhalt dieses Blues) fertig wird, ist noch nicht genügend erforscht. In der Vergangenheit wusste mein geliebtes Ellada mit solchen Situationen gut umzugehen. Und so reiste ich nach einem kurzen Stopp in der Schweiz, zwecks Wäsche waschen und umpacken, nach Andros. Dort wollte ich zusammen mit einer Freundin diverse Wanderungen ablaufen für eine neue Reise im nächsten Jahr. Zu meiner Erschütterung musste ich jedoch feststellen, dass Griechenland nicht per se ein Allheilmittel ist. Vor allem, wenn man aus dem algarvischen Sommer kommt und in einem früh-winterlichen Griechenland landet. Ausgerechnet mir muss das passieren!

Noch so ein Rätsel: in der Algarve hatte ich drei Wochen lang nicht eine Mücke zu Gesicht bekommen! In Griechenland aber fressen sie einem schon auf, bevor man richtig da ist...

Und wie es mir auf Andros trotz Fado und Saudade ergangen ist? Das ist dann die Geschichte eines anderen Blogs.

*Wandern für Imbach in der Algarve


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fotografien/texte © grüner atem / sandra dominika sutter