Freitag, 8. April 2016

"Sister! Sister!" und der wachsende Wald

Seit Mitte März bin ich also wieder in Griechenland mit einem verhältnismässig dichtem Programm. Als erstes war ich wenige Tage auf meiner Insel, um Vorbereitungen betreffend meinem Baumpflanzprojekt "Chara Zois - Joy of Life" zu treffen. Es ging nicht alles ganz so schnell wie geplant und gewünscht, und so übernahmen Freunde die nächsten Schritte - ein grosses Dankeschön! - während meiner Abwesenheit in Athen (Freiwilligen Arbeit für die Flüchtlinge).




...und wer sortiert das alles? Kleiner Ausschnitt der grossen, grossen und bis an die Decke gefüllten Halle - 
und: es ist nur eine von vielen!

Wearhouse Piräus/Athen
Wir, das waren mit Annette Kaiser eine 11 köpfige Gruppe aus der Schweiz und aus Deutschland. Da ich oft in Griechenland bin, und auch Griechisch spreche, war ich für die Organisation, Unterkunft, und das leibliche Wohl während unserem ein-wöchigen Aufenthalt über Ostern zuständig. Emily von der Heilsarmee Athen schickte uns für unseren Einsatz in den Hafen von Piräus. Dort lernten wir Sotiris kennen, einen herzensguten Griechen, der sozusagen den Überblick, sofern man das haben kann, über die Flüchtling-Camps im Hafen und die vielen Volontäre hat. Unser Ärzteteam inkl. Assistenz wurde sofort abberufen. Wir anderen wurden ins ehemalige Basketball Stadium neben dem alten Flughafen in Athen zum Kleider sortieren geschickt. Ehrlich gesagt, waren wir anfangs ziemlich überfordert beim Anblick der Berge von Schachteln. Immerhin schafften wir es innerhalb einiger Stunden, ein paar Säcke zu leeren und deren Inhalt in die richtigen Schachteln zu sortieren. Dennoch blieb nach getaner Arbeit ein ziemlich grosses Fragezeichen und eine gewisse Ratlosigkeit.



Kinder im Hafen von Piräus vor einer Blue Star Fähre.


Ab Tag zwei hielten wir uns in der Nähe unseres Ärzteteams (sie konnten einen leerstehenden Wohnwagen als Arztpraxis umfunktionieren) im Hafen auf und machten uns mit allerhand alltäglichen Handlungen nützlich. Offengestanden hatte ich mehrere Male den Eindruck, der Tropfen verdunstet schon auf dem Weg zum heissen Stein... zum Beispiel beim Toiletten putzen. Kaum geputzt, schon wieder wie grad eben erst... Wir kauften Waschbecken, Bälle, Schwämme, Abfallsäcke, Wasser usw. Husch, und weg waren sie... Nun ja, in unserem Wearhouse waren viele Menschen untergebracht. Eine Schätzung war um die 1000... und so taten wir, was grad anfiel: eben Toiletten putzten, Abfall sammeln, wir spielten mit Kindern, organisierten zwei Tage Mütter-Baby-Waschen in der Hebammen Station, die ebenfalls aus einem Wohnwagen bestand, bauten Gestelle für die Materialausgabe einer anderen Freiwilligen Gruppe, sprachen mit den Menschen; manchmal nur mit den Augen, dann mit Händen und Füssen, mit einem Lachen oder auf Englisch. Und die Kinder riefen: "Sister! Sister!" Unsere Ärzte arbeiteten unaufhörlich. In kürzester Zeit fanden sich die unentbehrlichen Übersetzer. 
  


Und die Chinesen werden kommen - Yang Ming in Sichtweite. 
Der Hafen ist an die Asiaten verkauft und soll in den nächsten Wochen von den Flüchtlingen geräumt sein.
Das ist zumindest die Idee oder nur ein Gerücht?



Für mich war es ausserordentlich beeindruckend, wie es möglich ist, dass so viele Menschen aus verschiedenen Kulturen, meist die andere Sprache nicht beherrschend auf kleinstem Raum, unter katastrophalen Verhältnissen ohne grosse Zusammenstösse nebeneinander leben können. Natürlich gab es kleine Gerangel um irgendetwas. Aber in all dem, und mit all ihren Geschichten nun auch noch die Ungewissheit aushalten, wie es mit dem eigenen Leben weiter geht, an einem Ort wo man nicht hin wollte und auch nicht sein möchte - das finde ich besonders. Und natürlich haben wir viele Menschen getroffen, die traumatisiert sind von dem was sie erlebt haben und immer noch erleben. Eines Morgens als wir in den Hafen kamen, konnten wir ein hohes Potential an Aggression in der Luft spüren. Mahmud der Kinderarzt aus Syrien erzählte mir später, einer hätte mitten in der Nacht die Nachricht verbreitet, die Grenzen in Idomeni seien wieder geöffnet. Nach einem euphorischen Freudesausbruch kam dann der Sturzflug, als sich herausstellte, dass es ein falsches Gerücht war...
Besonders finde ich auch und immer wieder aufs Neue die Solidarität und die Gelassenheit der Griechen, was sicherlich zum "friedlichen Klima", wenn man es so nennen kann, beiträgt. 




Warten. Gegensätze.


Für vieles des Erlebten gibt es keine Worte. Wir wurden jene Male total erschüttert und zutiefst im Herzen berührt. Wir schlossen Freundschaften, tauschten Email-Adressen und Telefonnummern aus. Und am letzten Abend im Hafen war es manchem von uns zittrig ums Herz, ein Gefühl einhergehend, mit unserer Abreise die Familie zurückzulassen... Verschiedene von uns engagieren sich nun von Daheim aus, um etwas in Bewegung zu setzen und zu halten.




Das Herz weinte, als mein Schiff aus dem Hafen fuhr... die grosse Frage: was wird aus all diesen Menschen?



Der wachsende Wald


Was wie ein kleines Häufchen aussieht, sind knapp 50 Bäume!


Ja, und nun bin ich wieder auf der Insel. Und ich habe Bäume gepflanzt (mein Projekt "Chara Zois - Joy of Life"), zusammen mit anderen helfenden Händen, ca 80 Stück, inkl. drei Bäume in Erinnerung an die Flüchtlinge. Während meiner Abwesenheit (Athen), unter Anleitung und Aufsicht einer Freundin, wurden die notwendigen Löcher maschinell gegraben (Dank Nikos, dem ehemaligen Antidimarchos und leidenschaftlichen Bäumepflanzer, und der Stadtverwaltung mussten wir nicht buddeln...). Und dann wurde gepflanzt, da war ich dann auch wieder mit dabei! (Einige wenige von den 80 wachsen nun in privaten "Chara-Zois"-Gärten. Dazu gibt es zu einem späteren Zeitpunkt ein Mapping.) Nun bleibt noch die Kosmetik und die Organisation des Bewässerungplanes während meinen Abwesenheiten. Ich wohne ja (noch) nicht hier. Nun, wenn dieses Anliegen so geschmeidig geht wie der vorherige Prozess (innerhalb weniger Monate stehen nun Bäume, wo voher noch niemand welche fantasiert hatte...) habe ich keine Sorge. Das alles so zügig ging ist dem Zufall oder der Bestimmung zu verdanken, die richtigen Menschen mit den nützlichen Verbindungen zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu treffen, und der Unterstützung lieber Freunde.




Chara Zois nimmt Gestalt an.


Das Wasser das wir zur Bewässerung benötigen wird von der Abwasserreinigungsanlage zur Verfügung gestellt, die oberhalb des bepflanzten Grundstücks steht - ansonsten würde es ungenutzt ins Meer fliessen. Der Verein der Kreter, der vor Jahren eine Stück Land in der Nähe unseres Grundstückes mit Bäumen bepflanzt hat, hatte von unserem Vorhaben Wind bekommen und kurzerhand ihr verwilderndes Grundstück rausgeputzt und zu einem im Moment noch etwas "nackten" Park umgestaltet. Die Zusammenarbeit, wir brauchen vom gleichen Wasser, gestaltet sich hervorragend. Am 17. April - in Griechenland Nationaler Landschafts-Putztag - werden wir gemeinsam den uns zu Füssen liegenden Strand säubern. Es wird, das weiss ich jetzt schon, ein Festtag werden!

Meine Vision für den "Chara Zois Park" ist, jemanden für ein kleines Einkommen anzustellen, der wässert oder zu gegebener Zeit etwas jätet, wenn ich nicht auf der Insel bin, und wenn sich nicht genug andere Hände finden lassen. Ausserdem wäre es sinnvoll, bei Gelegenheit eine automatische Bewässerungsanlage zu installieren. Sollte das Konzept Erfolg zeigen (Bäume für ein gutes Klima - ohne Klima keine Natur - ohne Natur kein Leben!  und Menschen die sich darin engagieren), wird sich ein weiteres Stück Land für nächstes Jahr finden lassen.

Wer sich angesprochen fühlt, das Projekt finanziell (Baumpatenschaft/Sponsoring) oder tatkräftig (auf eigene Anreise- und Aufenthaltskosten) zu unterstützen, nimmt gerne Kontakt mit mir auf.


 
Drei Bäume im Zusammenhang mit dem Projekt "Chara Zois - Joy of Life" für die Flüchtlinge gepflanzt, 
damit wir nicht vergessen. Mit Blick aufs Meer und auf Ermoupolis / Syros -
die Stadt, die einst von Flüchtlingen erbaut wurde.


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wenn nicht anders vermerkt: fotografien/texte © grüner atem / sandra dominika sutter

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